Barbara Kahle

Selçuk Dizlek
Leuchtende Kunst-Stücke

Ein schwarzer Raum mit farbig leuchtenden Objekten, die eine faszinierende Strahlkraft verbreiten, - diese Installation bei der Triennale IV, „Raumzustände – Bildhauerei heute“ überzeugte die Jury, Selçuk Dizlek zum Sieger zu küren. Die damit verbundene Einzelausstellung ermöglicht nun einen Einblick in den gesamten Kunstkosmos des in Schweinfurt ansässigen Künstlers. Und dieser ist weit umfänglicher als die leuchtenden Plexiglas-Objekte.

Selçuk Dizlek ist Bildhauer, allerdings nicht im klassischen Sinne des Gestaltens mit Masse, Volumen, Gravitation. Seine Maxime ist vielmehr das Mobile, das flexible System, das in unterschiedlichsten Materialien wie Beton, Eisen, Messing, Plexiglas zu eigens dem Ausstellungs-Raum angepassten Installationen zusammenfügt wird. Der Herausforderung durch die großen Dimensionen der Kunsthalle begegnet er raumgliedernd etwa mit einem Geflecht aus Messingstäben, lotet mit diesen die Höhe des Raumes aus und macht sie dadurch sichtbar. Wand, Empore und Boden verspannen auch die unterschiedlich langen, schwarz mosaizierten Quader, die versetzt zueinander, in einer strengen, gleichwohl offenen Linie die Wand empor wachsen. Diese Module kehren wieder als bewegte Sockelskulptur und spielerisch turnend auf einer Ecke des Einbaus.

Das formale und inhaltliche Gesamtkonzept, das sich mit Flexibilität umschreiben lässt, bindet die einzelnen Werke zusammen1. Dizleks Skulpturen sind geometrisch abstrakt, haben ihren Bezugspunkt in den Traditionen der Konkreten Kunst. Die Visualisierung von Systemen, das Augenmerk auf Farben, Formen, Linien und auf eine innere bildnerische Logik sind gewichtige Inhalte der Arbeiten, die dabei aber nicht kühl und spröde, sondern spielerisch daherkommen und immer auch die Aktivierung des Betrachters mit einbeziehen. „Sie sind, was sie darstellen“2, widersetzen sich einer offensichtlichen Narration, wenngleich man bei den gekachelten Quadern auch eine feine Anspielung auf die vormalige Funktion der Kunsthalle als Schwimmbad erkennen mag. „Die bildnerischen Mittel sind konkret“, so der Künstler, aber die Arbeiten haben gedanklich durchaus mit vielen anderen Dingen zu tun, mit Einflüssen der Natur, mit Leuchtphänomenen der Stadt...3

Eine markante Position in der großen Halle besetzt ein Einbau, der die Verhältnisse umkehrt. In den weiten hellen Museumsraum tritt eine dunkle geschlossene Schwarz-Licht-Kammer, in der farbiges Licht quasi frei gelassen wird, es darf leuch- ten, strahlen; Sinnlich-Emotionales umfängt die Besucher. Es sind eben diese nicht alltäglichen visuellen Erfahrungen, die Wahrnehmung in einem solchen Raum kennzeichnet. Allerdings wäre es zu kurz gegriffen, wenn man diese Arbeiten auf ihre vordergründige Wirkung, also auf das faszinierend farbige Licht reduziert, wird dabei doch die inhaltlich wie formal konzeptuelle Ebene übersehen, auf der alle Objekte miteinander interagieren, - der Einbau ist also keine singuläre Insel. Folglich sind Arbeiten mit der Konzentration auf Licht und Farbe nicht nur auf das Innere des Einbaus begrenzt, sondern leuchten auch in der großen Halle. Nicht immer genau fassbare, sich ständig verändernde Wirkungen des Lichts, leuchtende Farbreflexe auf der Wand, weiche diffuse Farbfelder verändern die gesamte große Kunsthalle.

Die Geschichte der Lichtkunst ist eine lange und längst nicht mehr überschaubare. Der Begriff umfasst ebenso verschiedene wie vielfältige künstlerische Formen und Spezifika. Künstler*innen verwenden Licht in Zeichnungen, Gemälden, Skulpturen, Installationen, Interventionen und Performances. Das wesentliche Charakteristikum ist eine ästhetische Auseinandersetzung mit dem immateriellen Medium Licht als Basis der künstlerischen Arbeit4.

Die Verwendung elektrischen Lichts in Werken der bildenden Kunst nahm in den 1920er-Jahren ihren zaghaften Beginn mit vereinzelten ersten Arbeiten als Pionierleistungen. So entwickelte László Moholy-Nagy mit dem Architekten Stefan Sebök 1930 einen „Licht-Raum-Modulator, einen Apparat zur Demonstration von Licht- und Bewegungserscheinungen. Moderne, industriell hergestellte Metall- oberflächen ebenso wie transparentes Material wurden vor Scheinwerfern in Bewegung versetzt.

Zur Hoch-Zeit der Lichtkünste wurden die 60er Jahre, vertreten etwa durch die Zero Künstler Heinz Mack und Otto Piene5. Sie wollten Licht als solches sichtbar machen, vibrieren und tanzen lassen. Die Bewegung des Betrachters verursacht hier oftmals den Farbwechsel, und Licht wird als Medium zur Visualisierung von Bewegung im gleichwohl statischen Objekt eingesetzt6.

Der Einsatz von Licht in der Pop Art oder der Minimal Art sorgte in den 1960er-Jahren für eine Ausweitung der ästhetischen Mittel. Der New Yorker Dan Flavin (1933–1996) schuf 1963 seine erste Lichtarbeit, die aus einer einzigen, industriell gefertigten Leuchtstoffröhre bestand, die von da an sein Werk bestimmen sollte. Im Gegensatz zu James Turrell, der Licht in seinen entgrenzenden Farb-Licht-Räumen physisch erfahrbar macht, ist bei Flavin Licht nie den Betrachter überwältigend, es bleibt bei aller Faszination stets an die Lichtquelle gebunden.7

Seit den 1970er Jahren erweitert sich Licht zu einem schier unübersehbaren komplexen künstlerischen Aktionsfeld, das vielen künstlerischen Positionen Raum gibt, befeuert von neuesten Leuchtmitteln und innovativen Technologien. Selçuk Dizlek ist selbstverständlich mit diesen Entwicklungen vertraut und hat sich hier vor allem mit Arbeiten von Jan van Munster, Keith Sonnier, Dan Flavin und auch François Morellet auseinandergesetzt.

Lichtkunst und die Entwicklung des Kunststoffes ergänzten sich ideal. Mit transparenten Kunststoffscheiben Plexi- bzw. Acrylglas, das seit 1933 auf dem Markt ist, ergaben sich ganz neue Gestaltungsmöglichkeiten mit Lichtquellen, -brechungen und – oszillationen8. Acrylglas trat seit den späten 1950er Jahren seinen Siegeszug im Bereich von Design- und Alltagsprodukten an, im künstlerischen Bereich ist er vor allem verbunden mit dem amerikanischen Minimalismus der 60er und 70er Jahre, hier etwa mit den materialgebundenen, auf geometrische Grundformen reduzierten „specific objects“ von Donald Judd.

Auch in der konkreten Kunst ist die Kombination von Licht und Plexiglas ein zentrales Moment, etwa bei Klaus Staudt, einem der bedeutendsten Vertreter dieser Kunstrichtung. Das Interesse an Lichtreflexionen, räumlicher Veränderung, Farbe, Formen eröffnet auch hier ein weites Feld. Hervorzuheben ist u.a. der von Selçuk Dizlek sehr geschätzte Hellmut Bruch, dessen zentrale Themen Licht und Proportionen, die sich auf Naturgesetzlichkeiten beziehen, in offenen Formen Gestalt annehmen.

Plexiglas als vorgefertigtes Industriematerial erscheint möglicherweise auf den ersten Blick profan und diesseitig, etwa bezogen auf die vielfache Verwendung im Designbereich und in der kurzlebigen Neon-Werbung. Gleichzeitig hat es aber in Verbindung mit der strahlenden laserartigen Farbigkeit „nicht nur an der tradierten Stoffheiligkeit von Glas teil, sondern auch an einer spirituellen Lichtmetaphorik“9. Durch seine Transparenz scheint es mystisch aufgeladen. Allerdings müssen Gestaltung und Wirkung hier genau differenziert werden, denn Transparenz kann auch einer gegenteiligen Konzeption entsprechen. Im Sinne einer Offenlegung, einer Berechenbarkeit und Kontrollierbarkeit von Prozessen kann das glatte „durchsichtige“ Material sich bewusst auch einer hermeneutischen Tiefe widersetzen.

Im Kontext einer Weiterentwicklung und Neubewertung von Material und Farbe sind es dann auch Neonfarben, ursprünglich in den USA als Warnfarben entwickelt, die seit den 1950er Jahren für die Kunst entdeckt wurden und seitdem ihr Potential in Malerei, Skulptur oder Lichtkunst bereit halten. Neonfarben enthalten Tagesleucht- bzw. Fluoreszenzpigmente als farbgebende Mittel. Im künstlerischen Zusammenhang sind Pioniere wie Günter Frühtrunk und Rupprecht Geiger zu nennen, im Internationalen Kontext vor allem Frank Stella, der bis heute anregend wirkt. Es war von Anfang an auch ein Thema der Konkreten Kunst, bot sich doch hier die Möglichkeit für neue Raum- und Wahrnehmungserfahrungen. Rupprecht Geiger, der die Tagesleuchtpigmente 1952 noch aus Amerika importieren musste, erläuterte dazu, dass diese von ihm als abstrakte Farben gesehen werden, weil sie in der Natur nicht vorkommen und geeignet sind, den Begriff Farbe besonders eindeutig zu dokumentieren.10

Lichtkunstwerke finden sich allenthalben in Sammlungen für moderne Kunst, - auch die Kunsthalle Schweinfurt verfügt über zwei besondere Lichtarbeiten der Stuttgarter Künstlerin Chris Nägele, die Neonröhren als frei modellierbares Material nutzt und diese sich quasi als fragile Farbzeichnungen durch den Luftraum der beiden Treppenabgänge zum Untergeschoss bewegen lässt. Chris Nägele arbeitet hier mit direktem Licht, das allerdings an den Wänden reflektiert wird, so dass die engen „Schächte“ zu einem ins Blaue, bzw. ins Grüne getauchten atmosphärischen Raum werden.

Mit Licht gestalten ist ein zentrales Thema von Selçuk Dizlek, das ihn zu interessieren begann, als seine bildhauerischen Arbeiten sich zu beweglich offenen Systemen weiter entwickelten. Und Wandelbarkeit, Veränderung, ist dann auch das Kriterium der nun entstehenden Lichtobjekte. Bevorzugtes Material sind vorgefertigte Plexiglasscheiben, deren Materialeigenschaften wie Licht- durchlässigkeit, Lichtleitfähigkeit und Transparenz neuen Wahrnehmungs- erfahrungen entgegen kommen. Spiegelungen etwa auf den Wänden erzeugen eine bestimmte Art von Illusionismus, der allerdings jede Art von Repräsentation verweigert. Dizleks Interesse gilt in der Verwendung dieses Materials speziell auch der Durchdringung von Raum und Volumen hin zu einer metaphysisch gedachten Immaterialität. Wandel und Veränderung der Wahrnehmung der einzelnen Objekte sind einerseits gebunden an den Betrachterstandpunkt, vor allem aber an das Spiel mit Licht und Dunkel. Licht wird in den Arbeiten indirekt verwendet, d.h. Leuchtquellen werden versteckt angebracht oder er arbeitet mit Schwarz-Licht, das, als solches nicht sichtbar, Neonfarben und andere fluoreszierende Stoffe zum Leuchten bringt.

Untrennbar damit verbunden ist der Einzug von Farbe in das Werk von Dizlek, verwendet er doch vorwiegend getönte Scheiben oder auch Vierkant Stäbe, pastellig, fluoreszierend, opal und opak. Diese vorab eingefärbten Werkstoffe geben ein Farbspektrum vor, aus dem der Künstler auswählt und dann in unterschiedlichen Konstellationen zusammenbringt. Es sind buchstäblich Stücke aus Farbe, - Farbe als feste Materie. Mit der Auswahl lässt sich auch die Lichtdurchlässigkeit bereits im Vorfeld festlegen, - so durchlässig, wie es der Konzeption des jeweiligen Werkes entspricht. Kennzeichnend für die Arbeitsweise Dizleks ist, dass sämtliche Teile von ihm selber geformt, verformt, geschnitten, gesägt, geschraubt und zusammen- gefügt werden. Damit hat er ein praxisorientiertes, strukturelles Wissen erworben, das für viele Prozesse grundlegend ist.

Der Künstler hat eine Reihe von kreisförmigen Objekten geschaffen, an denen sich etwa der Umgang mit Plexiglas, Farbe und Licht untersuchen lässt. Man kann sie als serielle Versuchsanordnungen begreifen, die sich in der Interaktion einer Vielzahl von farblichen und formalen Faktoren unter verschiedenen Bedingungen abspielen. Die Variationen erlauben immer wieder neue Eindrücke und sinnliche Reize.

Tondi, die nach 2010 im Werk auftauchen, erinnern an runde geschlossene Schachteln, bei denen die vordere transparente Plexiglasscheibe wie ein Lichtfilter wirkt. Jenseits dieser Scheibe erscheinen unscharf, sich auflösend, verborgene Gegenstände, im Licht schwebend. Die Serie wird fortgeführt etwa mit strukturierten Scheiben und unterschiedlich gefärbten „Kringeln“, die trotz klarer Konstruktion vom Betrachter nurmehr als diffuses Lichtspiel wahrgenommen werden. Die Arbeiten beginnen zu vibrieren, schwingen ungreifbar in den Raum aus.

Das Oszillierende kennzeichnet auch die Serie der „Farb Raum Perforationen“: versetzt hintereinander geschichtete Ringe in immer wieder neuen Farbkombinationen erzeugen eine kreiselnde Bewegung sich überschneidender Farben und Formen um die freie Mitte – eine Art Jonglierspiel für die Augen. Der Raum zwischen den einzelnen Bestandteilen wird dabei zu einem wichtigen Faktor, um genügend Licht zu geben und das Objekt vor der Wand schwebend erscheinen zu lassen. Die einzelnen Ringe sind in Schlitzen sichtbar durch Schrauben verbunden, die, lösbar und verschiebbar, auch andere Konstellationen erlauben. Das Erscheinungsbild lässt sich so mannigfach verändern, - ein Phänomen, das sich unter der künstlerischen Maxime von Veränderbarkeit durch das gesamte Oeuvre von Dizlek zieht.

Weitere „Perforationen“ erhalten ein formstabilisierendes Äußeres: an einen Ring aus „neutralem“ Beton sind, dem Kreis folgend, farblich unterschiedliche, eher schmale sichelförmige Plexiglasschnitte angelagert. Die Mitte bleibt leer. Von der Grundkonzeption des eingefassten Raumes und den um das Zentrum scharfkantig gegeneinander abgesetzten Farbfeldern lassen sich Bezugslinien zur Hard Edge Malerei ziehen.11 Schatten, Überlagerungen, Spiegelungen lassen diese Mitte zu einem energiegeladenen Inneren werden, - aus dem Inneren leuchtende Objekte -, wenn sie gezielt mit Licht versorgt werden, etwa durch versteckt eingebaute Leuchtdioden. Vollends abgedunkelt und mit dem für das Auge unsichtbaren Schwarz-Licht angestrahlt, entfalten sie dann eine zuvor kaum erahnbare Leucht-kraft. Die ursprüngliche Leere der Mitte füllt sich auf der weißen Wand mit Blau und den weichen, fluktuierenden Farbschatten der sichelförmigen Elemente. Wenngleich die Form ihre Konstanz bewahrt, tritt die Materialität des Betonrings selbst völlig in den Hintergrund. Die Lichtsituation hebt die Grenzen zwischen den einzelnen Elementen, zwischen Licht und Schatten auf. Wir bewegen uns hier im Grenzbereich von Materiellem und Immateriellem. In unserer visuellen Wahrnehmung wird das immaterielle Licht im Zusammenspiel mit den ausgewählten Materialien zu Farbe und damit zum bildgebenden Bestandteil der raumbezogenen künstlerischen Arbeit. Farbe hat sich als Licht quasi vom haptisch fassbaren Träger gelöst. Bei allen Arbeiten von Selçuk Dizlek kann man festhalten, dass die formal reduzierten Gestaltungen in ihrer ästhetischen Ausstrahlung weit über ihre faktische Beschaffenheit hinaus gehen. Die sogenannten „Cuts“ sind quasi freigestellte, große, im gleichen Bogenmaß geschnittene, sichelförmige Elemente, die ohne künstliche Lichtquelle allein durch ihre dynamische Bewegung die Wand, ja, den ganzen Raum der Kunsthalle verändern. In Orange und Rot wirken diese buchstäblichen Stücke aus Farbe ungemein plastisch, so als träten sie aus der Wand heraus.

Eindrucksvolle Lichtarbeiten sind die „Kästen“, bei denen farbige Plexiglasscheiben versetzt hinter- und nebeneinander in ein kastenartiges Gerüst geschoben sind. Durch die unterschiedlich farbigen Platten ergibt sich je nach Betrachterstandort eine unendliche Fülle an Farbmischungen, an farbigen Lichtspielen, ein Durchleuchten, Schichten, Mischen und Selektieren. Die Konstruktion mit verschiebbaren Gläsern signalisiert Beweglichkeit, Jeder kann sich sein eigenes Farbspiel arrangieren. Gezielt zur künstlerischen Konzeption eingesetzt wird hier eine materialspezifische Besonderheit des fluoreszierenden Plexiglases: das über die Fläche aufgenommene Licht strahlt an den Kanten ab, wodurch feine, extrem farbintensive, selbstleuchtende Linien entstehen. Damit ergibt sich ein Spiel aus transparent-farbigen Flächen, bei denen verschiedene Farbbereiche optisch nach vorn, andere nach hinten treten, dominiert von intensiv leuchtenden Vertikalen. Werden Plexiglasstreifen oder -stäbe quer zur Wand montiert wie etwa in den „Mobilen Strukturen“ oder den „Light-Mobilés“, übernehmen allein die Linien die Gestaltung. Klar definierte geometrische Bildkonstruktionen und sinnlich atmosphärisches Spiel des Überbordenden der Fluoreszenz schließen sich nicht aus, sondern ergänzen sich. Farbe kann hier zugleich fassbar materiell in den Plexiglasteilen und immateriell in den Reflexionen auf den Wänden erlebt werden.

In einer neuen, für die Ausstellung in der Kunsthalle erarbeiteten Serie sind jeweils zwei Reihen von farbigen „Licht“streifen vertikal angeordnet, wobei die einzelnen Elemente unterschiedlich lang und gänzlich unregelmäßig geschnitten sind. Frontal gesehen löst sich das so harte kantige Material in leuchtende Lichtbahnen auf, umgeben von weichen diffusen Farbfeldern. Bewegt sich der Betrachter, so werden in Seitenansicht die sich überlagernden Farbscheiben und ihr Reichtum an Farbkompositionen sichtbar.

Selçuk Dizlek setzt sich schon länger auch mit Verformungen des Plexiglases auseinander: einzelne Streifen werden durch Hitzeeinwirkung zu wellenförmig gebogenen Elementen, den „Kringeln“, deren Oberflächen jetzt eine bewegt- gewölbte Reflexionsfläche für das Licht erzeugen. Die Kringelinstallationen werden einerseits auf Montageplatten in gefestigter, z.B. ovaler Form fokussiert, andererseits wird den einzelnen, durchaus unterschiedlich gebogenen wie unterschiedlich farbigen Modulen freier Raum geboten, wo sie dann wie ein Ausschnitt eines sich fortsetzenden Ornaments wirken. Im abgedunkelten Raum unter Schwarz-Licht wirken diese „Farb-Künstlichkeiten“ wie magisch aufgeladen. Die hier gezeigte neueste Variation beschränkt sich auf den kontrastierenden Farbklang Rot/Blau. Beide Farben befinden sich zwar auf derselben Fläche, haben aber dennoch unterschiedliche Tiefenebenen, Materialstärke und Durchsichtigkeit. Die Abstrahlung der Farbe bringt unendliche Modulationen hervor, die sich räumlich ineinander mischen und neue Farbabstufungen erzeugen. Zudem sind die einzelnen Module nicht fest miteinander verschraubt, sondern variabel auf der Wand befestigt; so lässt sich mit einer Vielzahl an Kombinationsmöglichkeiten spielen.

Auch ohne Schwarz-Licht entfalten die reliefartigen Farbfeldräume auf der äußeren Wand des Einbaus ihre Wirkung. In ein hochrechteckiges Gehäuse sind farbige Plexiglasscheiben eingeschoben, bzw. geschichtet. Flächen, Linien, Körper und Raum gehen eine Verbindung ein. Das feste Betongehäuse zeigt und verbirgt gleichzeitig seinen lichthaltigen „Inhalt“. Beton und Acrylglas, das Schwergewichtige und das Leichte, Lichte bilden hier einen größtmöglichen Kontrast, Entmaterialisiertes findet seinen Halt im Beton. Von solchen Spannungs- und Reibungsverhältnissen lebt die ästhetische Wirkung und der sinnliche Reiz.

Bei den jüngst entstandenen hochrechteckigen Arbeiten o.T. bildet jeweils eine neon-grüne Acrylglasplatte die Ausgangsbasis. Sie kommen ohne den realen Einsatz einer Lichtquelle aus, verdeutlichen aber durch die Art der Bearbeitung unterschiedliche materialabhängige Lichtverhältnisse. Dort, wo die Platte von der Rückseite gefräst wurde, bündelt das lichtsammelnde Acrylglas die Strahlen und lenkt sie in die vom Künstler vorgegebenen Bahnen, nun auf der spiegelnden Grundfläche heller leuchtend als quasi fließende Linien: horizontal, diagonal oder vertikal. Die optische Transparenz schafft imaginäre Räume, die gedanklich korrespondieren mit der Visualisierung eigentlich körperloser Technologien wie etwa Datenströme, - abstrakte Systeme von Kodierungen und Zeichen.

Gerade an den letztgenannten Arbeiten zeigt sich das bildliche flächenhafte Gestalten des Künstlers, die ihn in die Nähe der „Malerei“ rücken. Man steht vor den Objekten wie vor einem Bild. Räumliche Tiefe entsteht in erster Linie optisch durch Farbe und Licht. Vielen der Objekte kann man eine Zwischenform zwischen Bild und Objekt zumessen. Selçuk Dizlek hat an der Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg in der Klasse des Malers Werner Knaupp studiert, dessen Meisterschüler er auch war. Tatsächlich ist die Malerei durchaus ein Bezugspunkt seiner Arbeiten, obwohl er keinen Pinsel in die Hand nimmt. Hier offenbart sich ein Werkbegriff, der sich von der Malerei und der Skulptur gleichermaßen absetzt. So lässt sich abschließend mit einem Zitat seines Künstlerkollegen Gerhard Rießbeck zusammenfassen: „Selçuk Dizlek ist ein „unorthodoxer Vermischer“ geworden, wahrscheinlich auch schon immer gewesen, denn als klassischen Bildhauer habe ich ihn nie erlebt. Er ist einer, der zusammenbringt, was leicht als nicht vereinbar erscheint: die Bildhauerei mixt er mit der Farbe, das Wandobjekt lässt er raum-greifend ausstrahlen, die strenge Logik unterläuft er durch Intuition, die klare Form entzieht er durch Farbschleier, das Statische erhält Dynamik.“12

Quellen:

  1. Vgl. Tobias Loemke: Flexibilität als Maxime. In: Selçuk Dizlek. Flexime. Ausst.-Kat. Kunstverein Schweinfurt, 2012 S.4 – 20
  2. Vgl. Max Imdahl: Moderne Kunst und visuelle Erfahrung. In: Ders. Zur Kunst der Moderne. Gesammelte Schriften. Bd.1 Angeli Janhsen-Vukicevic (Hrsg.)Frankfurt a.M. 1996, S. 336
  3. Vgl. Linie in Flux. Selçuk Dizlek im Gespräch mit Berthold Naumann am 17.07.2014, abgedruckt in: SelçukDizlek . Linie in Flux: Objekte und Installationen. = Ausst. – Kat. Galerie Molliné, Stuttgart, 2014, o.S.
  4. Nina Hinrichs: Lichtkunst - Interdisziplinäre Kriterien zur kunstwissenschaftlichen Analyse. In: kunsttexte.-de, Sektion Gegenwart, Nr. 1, 2017, www.kunsttexte.de
  5. Die Düsseldorfer Künstlergruppe wurde am 24. April 1958 von Heinz Mack und Otto Piene offiziell gegründet. Im Jahr 1961 kam Günther Uecker hinzu.
  6. Vgl. Annelie Lütgens: Das Pars pro Toto und das große Ganze. In: Brüderlin, Markus und Esther Barbara Kirschner (Hrsg.): James Turell. Das Wolfsburg Projekt. Ostfildern 2009 = Katalog der gleichnamigen Ausstellung Wolfsburg 2009/10, S.117
  7. Vgl.: Monika Wagner: Das Material der Kunst. Eine andere Geschichte der Moderne, München 2001, S.265
  8. Acrylglas ist eigentlich korrekt als Polymethylmethacrylat zu bezeichnen. Die Begriffe Plexiglas und Acrylglas werden oft synonym gebraucht, allerdings ist Plexiglas ein Markenname für Acrylglas. Bis zum Verkauf 2019 war die Evonik Röhm GmbH, eine Tochtergesellschaft der Evonik Industries AG, Inhaber der Marke. Plexiglas wurde 1933 als Marke angemeldet. Ebenso ist Perspex ein Markenname für Acrylglas.
  9. Jessica Ullrich: Die Macht des Stofflichen. Bildhauermaterialien im 21.Jahrhundert. In: Wellmann, Marc (Hrsg.): Die Macht des Dinglichen. Skulptur heute, Köln 2007, S. 16
  10. Vgl. Deiss, Amely, Andrea Jahn und Simone Schimpf (Hrsg.): Neon. Vom Leuchten der Kunst, Köln 2014 = Katalog der gleichnamigen Ausstellung im Museum für Konkrete Kunst Ingolstadt, 2014 und Stadtgalerie Saarbrücken, 2014, S.11
  11. Der Begriff hard edge wurde zu Ende der 50er Jahre geprägt, um eine Malerei zu beschreiben, die in Abkehr vom abstrakten Expressionismus mit präzisen, scharfkantigen Farbflächen operierte. Klar abgegrenzte, nur auf wenige Farben beschränkte Flächen ohne individuelle Pinselspuren und eine schablonenartige Wirkung kennzeichnen die Werke. Georg Pfahler gilt in den 60er Jahren als Repräsentant des Hard Edge in Deutschland.
  12. Zitat aus einer Rede von Gerhard Rießbeck „Leuchtstücke“ von Selçuk Dizlek anlässlich einer Ausstellung in der BBK-Galerie Würzburg 2014, https://www.selcuk-dizlek.de Texte - Leuchtstücke